Gazastreifen

Neun engagierte Personen im Gaza

Als 2015 Drin. Michaela Fried zum ersten Mal im Gaza war, begann gemeinsam mit Dr. Ahmed Abu Tawahina eine spannende Reise. Die beiden besuchten Schulen und sahen Eltern und Kinder, denen Sie von den Ideen der Neuen Autoriät und dem Gewaltfreien Widerstand erzählten. Für immer in Erinnerung bleiben wird uns das Zitat eines Familienvaters, der im Rahmen eines Treffens sagte: "Ich habe verstanden. Ich weiß zwar nicht, ob ich morgen noch lebe oder mich vielleicht schon heute Abend eine Granate erwischt. Aber ich kann mich jetzt entscheiden, dass es in meiner Familie keine Gewalt mehr geben wird."

 

Das Interesse wurde größer und mit Dr. Tawahina verloren wir Anfang 2018 leider eine wichtige Stütze vor Ort. Seine Tochter Amani Tawahina, die gelrnte Dolmetscherin ist, führt das Institut ihres Vates weiter und kann uns mit ihrem beruflichen Background viele Brücken bauen.

 

Nichts desto trotz wurde deutlich, dass es notwendig ist, vor Ort Kompetenzen aufzubauen, sodass die Ideen und Unterstützungsangebote im Gaza direkt verankert werden können. Im September 2019 startete eine Gruppe von neun Personen mit der Ausbildung zum "Coach für Neue Autorität". Im Rahmen dieser Ausbildung erhalten die Teilnehmenden regelmäßige Gruppensupervisionen. Diese finden online statt und werden von acht Supervisoren und Supervisorinnen aus Australien, England, den Niederlanden und Österreich ehrenamtlich durchgeführt.

 

Seit Beginn des Jahres 2020 sind die neun Teilnehmenden bereits in der praktischen Arbeit tätig und begleiten Familien in herausfordernden Situationen. Es ist schön mitzuverfolgen, wie rasch die engagierten "Coaches" manche Familien zu einem entlastenden Alltag zu begleiten.

  

Die Kolleg_innen vor Ort erhalten von uns für ihre Arbeit eine monatliche Aufwandsentschädigung in der Höhe von ungefähr 120 EUR, die wir aus Spenden finanzieren. Für viele Familien von ihnen ist das ein wichtiger Beitrag für die Grundversorgung.

 

Wir bedanken uns bei der Spykman Foundation aus den Niederlanden für den finanziellen Support im Rahmen dieser Ausbildung!

Aus einem Bericht von Michaela Fried:

Gandhi sagt: Auge um Auge - und die ganze Welt ist blind. Nirgendwo habe ich die blindmachende Gewalt deutlicher Gesehen als im Gazastreifen. Gewalt durch die ständige Unterdrückung von außen (durch die israelische Besatzung) und gewalttätige Konflikte im Inneren des Landes (durch die Hamas), unter der die Zivilbevölkerung zu leiden hat. Arbeitslose Familienväter, beengte Wohnverhältnisse, Armut, zu wenig Trinkwasser und durch Stromknappheit verdorbene Nahrung machen ein Leben in Würde unmöglich. Die Folge davon ist Gewalt im ganzen Land, die sich täglich, stündlich an einem Funken entzündet. Gewalt, die sich aus dem makro-politischen System in das System Schule fortsetzt  und in der Familie, der kleinsten politischen Einheit, nicht Halt macht. Lehrer in öffentlichen Schulen sind nicht motiviert, die Gewaltspirale zu durchbrechen, weil auch sie nicht bezahlt werden, weil auch sie traumatisiert sind durch Armut und Gewalt. Im Gaza gibt es aber auch einige von europäischen Ländern unterstützte Privatschulen, deren etwas besser bezahlte Lehrer wollen, dass ihre Schule den Kindern ein wenig das Gefühl eines sicheren Ortes vermittelt; auf ihrer Schulfahne soll stehen: Das ist ein gewaltfreier Ort! Immerhin werden 20 Prozent aller Kinder im Gaza an solchen Schulen unterrichtet, in Zahlen sind das etwa 80 000 Kinder. Seit zwei Jahren arbeiten wir mit Schulleitungen und Lehrpersonen dieser Schulen. Wir bieten Schulungen und Trainings für die Lehrpersonen und Eltern dieser Schüler_innen an, in denen gewaltfreie Kommunikation gelernt wird und Eltern und Lehrpersonen lernen, aus ihrer Hilflosigkeit zu kommen, selbstkontrollierte Präsenz zu zeigen, Wiedergutmachungs- und Beziehungsgesten zu setzen und gemeinsam ein gewaltloses Bündnis um das Kind zu schließen.
In einem nächsten Schritt wollen wir im Gaza Lehrpersonen zu Trainern ausbilden, die als Multiplikatoren beginnen, die Idee des Gewaltlosen Widerstandes von der Schule in die Familie zu tragen. Unter Anpassung und Berücksichtigung kulturspezifischer Besonderheiten soll es den Teilnehmer_innen unserer Trainings im Gaza gelingen, die Väter zu gewinnen und Kinder bei Wiedergutmachungen zu begleiten, anstatt sie zuhause oder vor der Klasse halb tot zu prügeln. Aussteigen aus der Gewalt bedeutet für diese Väter, ein Stück ihrer Würde zurück zu bekommen.

 

Dr. Tawahina (früherer Projektpartner, verstorben im Februar 2018): „Aussteigen aus der Gewalt bedeutet für die Menschen hier ein Stück Würde zurück zu bekommen, in einem Land, in dem Gewalt über Generationen vererbt wurde, Gewalt unter der besonders Frauen und Kinder leiden. Die Erfolge unserer gemeinsamen Arbeit zeigen sich schon in einer kleinen (aber beachtlichen) Anzahl von Einzelfamilien und in ein paar Schulklassen. Wenn wir es mit dieser Methode schaffen, über die Schule und die Familie die Spirale der Gewalt in unseren Gemeinden zu reduzieren, wäre das ein großes Geschenk an diese Region des mittleren Ostens. Die tägliche Sorge um genug zu Essen, Arbeit, Geld für den Schulbesuch und die Bildung unserer Kinder hier in unserer kleinen Welt - im größten Freiluftgefängnis dieses Planeten - wird dadurch nicht besser werden. Ich weiß nicht, ob und wann ich bei den nächsten Anschlägen sterben werde, wie meine Nachbarn. Aber mich verändert der Ansatz des Gewaltfreien Widerstandes, indem ich unser zuhause zumindest von innen zu einem sicheren Ort mache!“